Der Reichskanzler von Atlantis

von Björn SC Deigner

sparte4, Saarländisches Staatstheater | 2024

Inszenierung, Bühne | Kostüm: Fabia Greve | Video: Leonard Koch


„[…] Wenn „Fürst“ Burkhard von seinen (Macht-)Fantasien und Albträumen überwältigt wird, und Gattin Jutta der Hirngespinste und Hilflosigkeit ihres Gemahls, die sie mit katastrophalen Konsequenzen in die Verantwortung zwingen, überdrüssig ist, werden Kaffee und Kuchen zum Synonym von ‚Jetzt ist aber mal gut‘. Gut ist hier jedoch leider gar nichts, und es ist auch nicht irgendein Apfelkuchen: Altdeutsch muss er sein. Denn Burkhard und Jutta sind so genannte Reichsbürger. Die mit widerlichem Nazipack nichts zu schaffen haben möchten, auch wenn bei ihnen ein Dämon namens Rudolf von Sebottendorf mit an der Kaffeetafel hockt. […] In der Interpretation von Regisseur Thorsten Köhler manifestiert sich Sebottendorfs Geist im Sohn der beiden – eine stimmige Idee, weil das Böse mit jungenhaftem Gesicht [nur] umso harmloser daher kommt. Wenn ‚Sebi‘ mit teuflischer Grabesstimme ideologischen Unsinn raunt, flackert die Tiffany-Lampe überm Esszimmertisch, und wenn er zu sehr nervt, wird er wie ein gefährlicher Irrer in seinem Kinderzimmer weggesperrt. Ein nutzloser Exorzismus, weil, wie sich heraus stellt, hier keiner gegen den Dämon gefeit ist: Sein gefährliches Gedankengut ist ein Gespenst, das nur darauf wartet, wieder zum Leben erweckt zu werden. […] Am Samstag war Premiere in sparte4, wo man sich (zunächst) kaiserlich amüsiert. Köhler […] übersetzt die Komik aus der köstlich absurden und zugleich beängstigend prophetischen Vorlage in treffende Bilder – ironisch kommentiert von, natürlich, wuchtigen Klängen Richard Wagners. Dazu montiert sind Videos (Leonard Koch), die mal Erzählfunktion haben, mal in Vorkriegs-Optik Burkhards Tagträume und seinen Verfolgungswahn illustrieren: volkstümlich romantischer Liebeskitsch; gruselige Visionen einer dämonischen Tierwelt – zum Schreien kurios. Der groteske Witz der Farce speist sich vor allem aus dem Kontrast zwischen der Lächerlichkeit des Seins und dem überkandidelten Anspruch, und dafür bürgt ein großartiges Ensemble. In der Titelrolle brilliert Bernd Geiling, der die ganze Fallhöhe der Figur auslotet: hier staatsmännische Grandezza, dort der Spießer in Bermudashorts und Schlappen (Kostüme: Fabia Greve), der unter Darmturbulenzen und Rückenbeschwerden leidet und in allen Belangen devot von seiner Gattin abhängig ist. Nina Schopka verkörpert diese Märtyrerin grandios als verhärmte Hausfrau, für die das Apfelkuchen-Ritual ein trotziger Akt der Selbstermächtigung ist: ‚Ich darf auch mal etwas wollen, nicht nur immer das deutsche Volk!‘ [Bis] plötzlich eine junge Dame (Verena Maria Bauer) klingelt, [… die] sich als Steuereintreiberin [entpuppt, um] den Kanzler-Mercedes [zu] pfänden – […] Götterdämmerung!“

– Kerstin Krämer, Saarbrücker Zeitung