"Der große Preis - Songs für Europa" (Auszug) --- Bordcomputer: Alarm. Alarm. Alarm. (eine Geschützsalve erschüttert den Schiffsrumpf der Lena-Meyer-Landrut.) Frankreich: Wir werden angegriffen! Deutschland: Es ist die Türkei! Frankreich: Unser freiheitliches Wertesystem hat Schaden genommen! Brüssel: Demokratische Schutzschilde hochfahren! Bordcomputer: Demokratischer Schutzschild ist hochgefahren. (zwei weitere Treffer.) Italien: Schilde auf sechzig Prozent! Brüssel: Computer! Roter Alarm! Bordcomputer: Roter Alarm ist aktiviert. Deutschland: Commander, was sollen wir tun? Brüssel: Die türkische Regierung legt es darauf an, die Gräben unter uns zu vertiefen und das europäische Verhältnis untereinander insgesamt zu belasten! Leutnant! Öffnen Sie einen Kanal! Frankreich: Oui. Ich meine, Aye. Brüssel: Wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte hält, wird eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich! (Treffer.) Italien: Schilde auf fünfzig Prozent! Brüssel: Computer! Was wissen wir über die Türkei? Bordcomputer: Nach geografischer Lage, historischer Vergangenheit, Kultur und Mentalität ist die Türkei kein Teil von Europa. Frankreich: Commander! Der Computer sagt, die Türkei ist kein Teil von Europa! Italien: Commander, wir sollten unsere politische Ernsthaftigkeit unter Beweis stellen. (Treffer. Brüssel überlegt.) Italien: Commander! (eine weitere Explosion.) Italien: Commander, sollen wir die Waffenexporte teilweise stoppen? (Brüssel hadert.) Frankreich: Wir könnten über einen Tourismusboykott nachdenken! Deutschland: (erschrocken.) Antalya! Brüssel: Wir werden die Zusammenarbeit und vor allem die wirtschaftlichen Hilfen für die Türkei auf den Prüfstand stellen und als aufrechte Europäer für eine klare Haltung eintreten. Rufen Sie sie! Frankreich: Kanal ist offen! Brüssel: (bedeutend.) Gleichgültig, wie schwierig die diplomatischen Beziehungen zwischen Europa und der Türkei sind. Für uns bleibt klar, die Menschen in der Türkei sind unsere Freunde und bleiben ein Teil von uns. Deutschland: Commander, sie antworten mit Nazivergleichen! (Treffer.) Italien: Demokratische Schutzschilde bei dreißig Prozent! Brüssel: Es wird Zeit für klare Kritik. Laden Sie die Torpedos! (Treffer.) Italien: Zwanzig Prozent! Frankreich: Die Torpedos sind geladen! Brüssel: Feuer! (die Stimme Angela Merkels hallt durch die Weiten des Weltraums. Eine deutliche Rüge.) Merkel: Wir haben hier sehr starke Zweifel, dass das den rechtsstaatlichen Prinzipien entspricht. (Stille. Alle blicken wie gebannt auf ihre Bildschirme. Dann eine erneute Explosion.) Deutschland: Klare Kritik zeigt keine Wirkung! Frankreich: Commander, sollen wir die Beitrittsverhandlungen stoppen? Brüssel: (schweren Herzens.) Der Türkei muss klar sein, dass sich eine EU-Vollmitgliedschaft damit endgültig erledigt hat. Computer! Beitrittsverhandlungen einstellen! Bordcomputer: Beitrittsverhandlungen sind eingestellt. Deutschland: Sie drehen ab! Brüssel: Für heute. Gute Arbeit. (Ein Signal ertönt.) Bordcomputer: Sie haben Post. Alle: (freudig.) Wir haben Post! Wir haben Post! Wir haben Post! Deutschland: Von wem mag die Post wohl sein. (Sie sehen nach.) Italien: Wir haben schon wieder Post von der Europäischen Union! Brüssel: Ich bin ja so gespannt! (Sie lesen die Post. Dann betretenes Schweigen.) Italien: (nach einer Weile.) Hä? Italien ist draußen? (Er liest die Post erneut.) Italien: Italien ist draußen? Italien ist draußen? (ihm dämmert.) Italien ist draußen. (Tränennasse Augen. Er beginnt zu singen. Eine traurige, molllastige Version von Domenico Modugnos Volare.) Volare oh oh Cantare oh oh oho Nel blu degli occhi tuoi blu Felice die stare quaggiù. (auf die Musik.) Weil in der europäischen Raumstation keine Schwerkraft herrscht, fließen beim Weinen auch keine Tränen, weil die Tränen nicht auf den Boden fallen können. Es bildet sich eine Tränenblase, die größer wird, je mehr Tränen fließen. Um die Tränen aus dem Gesicht zu entfernen, ist ein Handtuch nötig, sonst würden sie ewiglich über das Gesicht wandern. (er nimmt sein Handtuch, tupft sich die Augen und verlässt die Brücke. Große Betretenheit unter den Anderen. Italien im Off:) Italia! Italia! Perque? PERQUE! (Alle Blicke auf Brüssel.) Brüssel: JA WAS!? Ach! Italien! ITALIEN! Und ja! Auch ich! Auch ich bin schuldig! Aber wer wagte es, mich zu richten in dieser Welt ohne Richter, da niemand ohne Schuld ist! Nichts in dieser Welt, nichts im Jenseits, dass meinem Maß entspräche! Und doch weiß ich, und ihr wisst es auch, dass es genügte, wenn das Unmögliche möglich würde. DAS UNMÖGLICHE! ICH HABE AN DEN HORIZONTEN DER WELT GESUCHT, AN DEN GRENZEN MEINER SELBST. Ich habe die Hände ausgestreckt! (schreit:) HIER! HIER! ICH STRECKE MEINE HÄNDE AUS! OH ITALIEN! Auch ich war in Arkadien! Meine Freiheit ist nicht die richtige. (Schweigen.) Brüssel: Helmut Kohl hat gesagt, "ich möchte ein Haus Europa!" Und dann tüncht der und verputzt und für ein Weilchen steht das Haus da ganz toll da! Und ganz passabel! Das schönste Haus in der Straße- nein, in der ganzen Welt! So von außen raufgeschaut! Aber innendrinnen! EIN DRECKHAUFEN! Und das ist dann der Fluch der Wohngemeinschaft! Denn natürlich macht keiner den Abwasch und die Brandflecken im Teppich und auf dem Sofa, das will ja dann auch wieder keiner gewesen sein oder der Schiss unlängst in der Toilettenschüssel. Liegt da. Und wartet. AUF MICH! DIESER BRAUNE BREMSSTREIFEN, DER DIE KERAMIK DURCHZIEHT! UND DANN STEHT DER EBEN DA, DER WALTER, AM TAG DER BEERDIGUNG SEINES VATERS! UND KLINGELT! DEN GANZEN TAG STEHT DER WALTER DA UND SCHELLT UND KLINGELT, SO WIE DIE TÜRKEI AUCH LANGE DAGESTANDEN UND GESCHELLT UND GEKLINGELT HAT! UND NATÜRLICH MACHT DA DANN KEINER AUF! BEI DEN ZUSTÄNDEN! Deutschland: (kleinlaut.) Also. Wo Deutschland helfen kann, wird Deutschland helfen, weil es in Deutschland nur gutgehen kann, wenn es Europa gutg- Brüssel: HALT DIE FRESSE DEUTSCHLAND! DEUTSCHLAND! WO HINTER JEDER ECKE DER NATIONALSOZIALISMUS LAUERT! DIESER ANDERE BRAUNE BREMSSTREIFEN! DEN KEINER WEGMACHT! WARUM AUCH? WIE SCHIMMEL IST DER! UND WER DEN EINMAL HATTE, DER WEISS, DER BLEIBT DRIN! DIE SPOREN! DIE BLEIBEN DRIN IN DER WAND! WEIL PILZ! DENN DA SIEHST DU EINEN PILZ UND DANN SIEHST DU LANGE KEINEN UND DANN PLÖTZLICH, DU HAST SCHON GAR NICHT MEHR DRAN GEDACHT, SIEHST DU WIEDER EINEN UND DIR WIRD KLAR: DER WAR IMMER DA! DER WAR NIE WEG! UND DAS IST DANN EIN WUCHS, EIN LEBENDER ORGANISMUS, DER DAS GANZE HAUS BEFALLEN HAT. DER ALLES DURCHZIEHT. DA IM MOOS. IM VELVET UNDERGROUND IM NATIONALSOZIALISTISCHEN! DU BIST DEUTSCHLAND!? DU WILLST DEUTSCHLAND SEIN!? (Deutschland schweigt, wütende Tränen in den Augen.) Brüssel: UND NATÜRLICH SIEHT DIE BEATE LIEB UND HARMLOS AUS MIT DER NICKELBRILLE AUF IHRER ANKLAGEBANK UND DEN ROSICHTEN BÄCKCHEN. UND DIE SIND JA AUCH DAS LECKERSTE AN DER FORELLE SAGT MUTTI. - UND DAS IST DEUTSCHLAND, DEUTSCHLAND! DAS IST AUCH DEUTSCHLAND! (er beruhigt sich langsam.) Brüssel: Den ganzen Abend sitz ich hier am Klavier und spiele mir die Finger blutig. Wund! Hämmere ein auf die Klaviatur! Für euch! Für uns! Und auch für dich Frankreich! (schreit.) LE PEN! (blickt auf seine Hände.) Arthrose! Arthrose, die meine Knochen frisst... (traurig.) Wir sind die dümmste Generation, die je gelebt hat, wenn wir Europa kaputtmachen. (schreit.) KLAAS HEUFER UMLAUF! (resignierend.) Ich hör auf. Ich hab keine Lust mehr. Ungarn. Polen. Oh England. England warum hast du mich verlassen? Ach! Ich werde den Mond nicht besitzen. Aber der gehört ja eh schon den Amerikanern. (schlägt eine Taste an.) Da! Ich kann's nicht mehr! Vorbei! Is' weg! Achtzehn Jahre Klavierunterricht - wie weggeblasen. Na super. Toll. (vor ihm ein Notensheet. Er liest.) G-moll. (ein letzter Versuch. Er stimmt eine Note an. Der Ton glückt. Dann noch eine. Und noch eine. Bis er zu singen anhebt.) Walking in the rubble walking over glass neighbors say we're trouble well that time has passed Peering from the mirror no that isn't me stranger getting nearer who can this person be you wouldn't know me at all today from the fading light I fly Rise like a phoenix out of the ashes seeking rather than vengeance retribution you were warned once I'm transformed once I'm reborn You know I will rise like a phoenix but you're my flam- Italien: (betritt die Brücke, verheulte Augen.) Ach? Singt ihr jetzt'n Lied oder was? (Alle schweigen.) Italien: (beleidigt.) War ja klar, dass ihr das schönste Lied am ganzen Abend singt, wenn ich aus der EU geflogen bin! (Alle schweigen.) Italien: CONCHITA! NULL PUNKTE! NÄMLICH! (Türenschlagend ab.) ---